Corona: Worst Case Szenario und Gegenmaßnahmen

12.03.2020

Worst Case Szenario von Angela Merkel

Angela Merkel sprach gestern (Mittwoch, 11.3.2020) auf ihrer Pressekonferenz davon, dass die COVID-19 Epidemie in Deutschland, über den gesamten Verlauf betrachtet, 60-70 Prozent der Bevölkerung infizieren könnte.

Legt man diese Werte auf die Österreichische Gesamtbevölkerung (8,8 Millionen Einwohner) an, so müsste man von einem Worst-Case Szenario mit 5,3 bis 6,2 Millionen Infektionsfällen ausgehen.

In Anbetracht dieser Zahlen stellt sich klarerweise sofort die Frage, ob so ein Epidemieverlauf von unserem Gesundheitssystem bewältigbar ist. Es ist aktuell noch zu früh für seriöse, exakte Prognosen zum weiteren Epidemieverlauf. Solche Prognosen sind daher mit äußerster Vorsicht zu betrachten. In der Simulation dieses Worst-Case-Szenarios mit unserem Modell, würde es in Österreich Ende Mai einen Peak von etwa 2 Millionen Infizierten geben. Dies ist zwar ein absolutes Worst-Case-Szenario, aber es verdeutlicht warum eine Senkung des Peaks notwendig ist.

Reduktion des Epidemie-Peaks

Mithilfe der klassischen Epidemie-Gleichungen (SIR-Modell von Kermack–McKendrick) lässt sich sehr einfach zeigen, dass bereits leichte Reduktionen der Kontaktrate den Höhepunkt der Epidemie (Peak) deutlich geringer ausfallen lässt. Aus genau diesem Grund vertritt Gesundheitsminister Anschober auch die Forderung nach einer Reduktion der Sozialkontakte um 25 % so vehement. Denn dies würde den Peak bereits auf nur mehr 52% des Basiswertes senken (im klassischen SIR-Modell), der Peak würde sich also fast halbieren.

In unserer agentenbasierten Epidemie-Simulation, welche einen deutlich höheren Detailgrad (u.A. genaue Demographie der österreichischen Bevölkerung, genauer Krankheitsverlauf) besitzt und dadurch in der Lage ist die sozialen Interaktionen viel genauer abzubilden, zeigt sich nun, dass die von Anschober geforderte Maßnahme noch deutlich effektiver ist. Bei einer Reduktion der Kontaktrate um 25% ergibt sich eine Senkung des Peaks um ganze 80%. Für das Worst-Case-Szenario würden am Höhepunkt also statt ca.2 Millionen "nur" mehr 360 tausend Menschen gleichzeitig Infiziert sein.

Senkung des Epidemie-Peaks durch Reduktion der Kontaktraten

In der Grafik wird der Unterschied der Peaks durch eine Reduktion der Sozialkontakte für das Worst-Case-Szenario dargestellt. Als Basis (100%) wird der Peak ohne Einschränkung der Sozialkontakte (rote Kurve) herangezogen. Orange abgebildet ist die Kurve bei einer Reduktion um 10%. Bei der geforderten Reduktion um 25% liefert unser Modell die gelbe Kurve.

Es ist also deutlich ersichtlich, dass die von Anschober geforderte Reduktion dringend notwendig ist, um den Epidemieverlauf auf ein bewältigbares Niveau zu drücken.

Der Grund für die noch besseren Zahlen als bisher ist, dass beim angenommenen klassischen SIR-Modell die Bevölkerung homogen ist. Das heißt das Virus wird gleichmäßig über die Bevölkerung verbreitet. In unserem agentenbasierten Modell gibt es allerdings, durch die geografischen Eigenschaften, lokale Kontaktnetzwerke. Die Infektion verbreitet sich daher mit höherer Wahrscheinlichkeit (hauptsächlich) innerhalb dieser lokalen Netzwerke und muss erst in die anderen Kontaktnetzwerke weitergetragen werden. Bei der Reduktion der Kontakte wird die ohnehin bereits geringere Wahrscheinlichkeit ins nächste lokale Netzwerk übertragen zu werden weiter reduziert. Dadurch verzögert sich die Ausbreitung noch stärker als bei einer homogenen Durchmischung.

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Diese "lokalen Mini-Epidemien" lassen sich unter anderem dadurch erklären, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der Infektionen sich nicht in Österreich angesteckt hat, sondern importiert wurde (gelber Anteil in der Grafik). So kommt es zu lokalen Epidemien, in denen zum Beispiel (beinahe) eine ganze Familie oder Kanzlei erkrankt, aber die Krankheit danach isoliert ist und sich nicht weiter ausbreitet.

Die Effektivität der 25%-Maßnahmen

Insgesamt sind die Schritte der Regierung zur Reduktion der Sozialkontakte auf jeden Fall zu begrüßen. Denn zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist, wie oben beschrieben, eine Verzögerung der Epidemieausbreitung mit einer einhergehenden Abflachung des Peaks zwingend notwendig.

Es stellen sich daher nun die Fragen, wie effektiv sind diese Maßnahmen zur Reduktion der Kontaktrate? Treffen sie die richtigen Personengruppen und reichen sie bereits aus zur Erreichung des 25% Zieles, oder müssen weitere gesetzt werden?

Um diese Frage im Detail beantworten zu können, simulieren wir, im Auftrag des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV), die Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen und des Paketes als Gesamtes mit unserem Modell. Die Simulationen und Szenarien für Gesamtösterreich werden im Rahmen des Forschungsprogrammes von dexhelpp an der TU Wien und in der dwh erstellt.

Autoren: Š. Emrich, M. Bicher, C. Urach, M. Zechmeister, C. Rippinger, D. Brunmeir

Weiterführende Information und Quellen

Als Basis dafür wird das im Dexhelpp-Projekt entwickelte GEPOC-Modell (M. Bicher, C. Urach, und N. Popper, "GEPOC ABM: A Generic Agent-Based Population Model for Austria") herangezogen. Dabei handelt es sich um ein Populationsmodell welches statistische Repräsentanten für die Bevölkerung von Wien erstellt mit folgenden Eigenschaften:

  • Alter
  • Geschlecht
  • Wohnort (GPS Koordinate, gesampelt auf Basis von Zählbezirksdaten)

Die zugehörigen Randverteilungen stammen aus Daten der Statistik Austria sowie vom Global Human Settlement Project.

Die Daten und Informationen betreffend die Kontaktraten stammen aus:

  • POLYMOD Studie (EU-Projekt SP22-CT-2004-502084)
  • J. Mossong u. a., „Social contacts and mixing patterns relevant to the spread of infectious diseases“, PLoS medicine, Bd. 5, Nr. 3, 2008.
  • R. A. Hill und R. I. Dunbar, „Social network size in humans“, Human nature, Bd. 14, Nr. 1, S. 53–72, 2003.
Senkung des Epidemie-Peaks durch Reduktion der Sozialkontakte
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