Der momentane Anstieg an Erkrankungsfällen entwickelt sich systemdynamisch, wie in den im Frühling für das Bundesministerium berechneten Herbstszenarien erwartet. Zur Evaluierung – auch im Rahmen unserer Forschungsarbeit für das Land Oberösterreich - wurden zwei Szenarien (ein weiteres ist mittlerweile obsolet, da die Variante BA.2 mittlerweile verdrängt wurde) mit der tatsächlichen Entwicklung verglichen (siehe Abbildungen) und wir versuchen darzustellen, welche Abweichungen bestehen, warum diese auftreten und ob sich grundsätzliche Aussagen dadurch geändert haben.
Die gemessene Entwicklung (rote Kurve) unterscheidet sich auf den ersten Blick in Bezug auf die Höhe. Dieser Unterschied kann entweder aus der Dynamik resultieren (dass also tatsächlich weniger Fälle aufgetreten sind). Wahrscheinlicher ist aber als maßgeblicher Grund die Änderung im Testverhalten, die zu einer höheren Dunkelziffer führt. Ein weiterer Unterschied ist eine etwas „frühere Dynamik“.
Aus Modellsicht resultiert das einerseits aus der Reduktion bremsender Maßnahmen im öffentlichen Raum, andererseits durch den, verglichen mit den letzten Jahren, früher eingetretenen Temperaturumschwung im September (und der damit einhergehenden Verschiebung der Kontakte von Außen- in Innenräume, sowie geänderten Freizeitaktivitäten), die nicht exakt vorhersehbar sind. Die Verschiebung um 1-2 Wochen, bzw. die auf Grund der geänderten Teststrategie geringere Höhe, ändert nichts am grundsätzlichen Verhalten, speziell in Bezug auf die weitere Entwicklung. Für die Ressourcenplanung z.B. im Krankenhaus wurden die Hospitalisierungsraten entsprechende angepasst.
Die Szenarien zeigen entsprechend das Potential, der sich aktuell anbahnenden Welle. Wir gehen derzeit von einer, im Vergleich zum Frühjahr 2022, um etwa 50% reduzierten Detektionsrate aus. Die aktuelle Welle wird wie die Sommerwelle von der BA.5 Variante dominiert, somit ist ein gewisser Anteil der Bevölkerung gegen diese Variante bereits (temporär) immunisiert. Durch diese beiden Umstände, geändertem Testverhalten und Menschen die bereits mit BA.5 infiziert waren, wäre der Peak der gemeldeten Neuinfektionen, entsprechend den Szenarienrechnungen vom Mai, bei etwa 20 bis 35 Tausend (anstatt 40-70 Tausend) und ist bereits recht bald zu erwarten. Die Welle wird somit, wenn man sich rein an den Positivtestungen orientiert, niedriger erwartet als die Omikron BA.2-Welle im April.
International werden derzeit einige Kandidaten, wie beispielsweise BA.2.75.2, als Variants of Concern (VoCs) betrachtet. Diese ist laut Variantenbericht auch in Österreich bereits nachgewiesen worden, jedoch noch mit sehr kleinem Anteil. Eine Übernahme dieser Variante innerhalb der nächsten Wochen ist demnach noch nicht zu erwarten, sie könnte jedoch zu einer weiteren Welle im Winter führen, ähnlich wie sie beim Übergang von BA.1 zu BA.2 im Frühjahr beobachtet wurde. Auch dieses Szenario war bereits in unserer Analyse im Juni enthalten (siehe Abbildung 3).
Die Frage wie man mit der Gefahr von Long Covid Erkrankungen und anderen Aspekten umgeht bzw. andere wichtige gesundheitssystemische Aspekte werden hier nicht beleuchtet und sind eine politische Frage. Eine wichtige Aussage der Auswertung ist jedoch, dass mit einschränkenden Maßnahmen eine Systemdynamik, wie sie hier modelliert wurde (und wie wir sie nun in Realität messen) nicht vernünftig grundsätzlich verhinderbar ist. Maßnahmen wie Masken flachen die entstehende Dynamik aber natürlich z.B. sehr wohl ab und sind besonders zu empfehlen, wenn sie freiwillig getragen werden. Die Simulation von Mai 2022 unterstreicht die Wichtigkeit einer nachhaltigen und abgestimmten Strategie, wie sie im Variantenmanagementplan (VMP) von GECKO vorgeschlagen und von der Bundesregierung beschlossen wurde. Dabei ist auch zu definieren und zu kommunizieren, welche Szenarien wann aktuell sind. Zu den wichtigen Aspekten gehören die evidenzbasierte Impfstrategie, präventive Medikamentenabgabe für spezielle Gruppen, wie immunsupprimierte Menschen, Therapie nach Ansteckung und eine frühzeitige Ressourcenplanung in den Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen (speziell auch mit Blick auf den Ausfall von MitarbeiterInnen), die die Folgen der aktuellen Welle mit evidenzbasiertem Aufwand und möglichst minimalen Einschränkungen eindämmen können.
Für weitere Inforamtionen zur Modellierung und Simulation von COVID-19 siehe auch Szenarien Modellierung in Europa – der European Scenario Hub der ECDC.