Durch die Verfügbarkeit neuer Daten zum Zusammenhang von Impfungen und Erkrankungen kann das virtuelle Bevölkerungsmodell von TU Wien, dwh GmbH und DEXHELPP noch besser dabei helfen, die aktuelle Immunität in Österreich einzuschätzen und künftige Entwicklungen je nach Impffortschritt zu simulieren. Dadurch können Entscheidungen z.B. für “xG” Regelungen besser getroffen werden.
Aktuell gehen wir von einer Dunkelziffer von mehr als 15% an unbestätigten Fällen aus. Das wirkt sich entsprechend stark auf die Anteile der immunisierten Gruppen aus. So dürften derzeit knapp 30% der österreichischen Bevölkerung nicht geschützt sein. Das Modell zeigt, dass die Immunisierung nach Genesung aktuell unterschätzt wird. Die Wirkung der Erstimpfung wird wegen der Ausbreitung der Delta Variante als wenig wirksam eingestuft. Außerdem dürfte die Inzidenz in der Gruppe der Nicht-Immunisierten (weder geimpft noch genesen) laut Modellergebnissen sogar um ca. 20% höher sein, als die Realdaten zeigen.
Die aktuellen Studien legen nahe, dass die die Immunisierung nach überstandener SARS-CoV-2 Infektion nur eine bestimmte Zeit besteht. Außerdem zeigen sie, dass eine Impfung auch nicht in allen Fällen einen vollständigen Infektionsschutz bietet. Diese Daten werden in unser Modell integriert. Dauer und Wirkungsgrad der Immunisierung sind entscheidende Parameter in diesem Modell. Diese Parameter können wir mit Hilfe, der jetzt neu zur Verfügung stehenden Daten analysieren und stark verbessern.
So können einerseits Szenarien und Prognosen weiter verbessert werden. Andererseits können die Parameter zu Immunitätsverlust und Impfwirksamkeit in der virtuellen Bevölkerung des Modells so angepasst werden, dass sie die aktuelle Dynamik in Österreich korrekt abbilden. Diese Parameter werden dann anderen Forschungsgruppen zur Verfügung gestellt, um sie mit anderen Studien zu vergleichen.
In einem aktuellen Arbeitspapier werden die Inzidenzen für die Bevölkerungsgruppen nach Immunisierungsstatus modelliert. Das Modell zeigt, dass derzeit knapp über 70% zumindest einmal geimpft und/oder genesen sind, wobei ca. 15% davon unbestätigte Fälle (Dunkelziffer) sind (Stand 20.8.2021).
Durch den Vergleich zwischen den Realdaten des Bundesministeriums und den Simulationsergebnissen lassen sich nun Hypothesen zur Wirksamkeit der unterschiedlichen Impf-Fortschritte und des Verlusts der Immunität testen.
Bei der Auswertung der 7-Tagesinzidenz, also wie viele neu bestätigte SARS-CoV-2 Infektionen es innerhalb der letzten sieben Tage pro 100.000 Menschen gab, zeigt sich für die jeweiligen Bevölkerungsgruppen folgendes Bild.
Im Vergleich mit der allgemeinen 7-Tages Inzidenz, die mit Stand 20.08. etwa bei 81 liegt, ist die gruppenspezifische Inzidenz bei der Gruppe der „nicht Genesenen und nicht Geimpften“ fast doppelt so hoch. Das bedeutet, von 100.000 Personen dieser Gruppe steckten sich innerhalb der letzten Woche in Summe etwa 160 mit dem Virus an. Im Vergleich dazu liegt die Inzidenz bei den Vollgeimpften bei ca. 27, also in etwa einem Sechstel der Inzidenz der ersten Gruppe. Genesene Personen liegen in etwa im selben Bereich wie Vollgeimpfte.
Im Gegensatz zu den Realdaten berücksichtig das Modell auch die Dunkelziffer. Dabei zeigt sich für die 7-Tagesinzidenz der einzelnen Gruppen ein anderes Bild:
Hier haben Teilimmunisierte und Genesene quasi Platz getauscht. Im Unterschied zu den Echtzahlen bietet im Modell eine (bestätigt) erlebte Infektion einen deutlich schlechteren Schutz. Für die innerhalb der letzten 180 Tage genesenen Menschen liegt die in den Beobachtungsdaten gemessene Inzidenz etwas über 20 (Stand 20.8.2021). Im Modell liegt der Wert hingegen bei knapp 80 und somit fast so hoch wie die Gesamtinzidenz. Für Menschen, bei denen die Genesung länger als 180 Tage zurück liegt die Inzidenz in den Realdaten bei ca. 40, im Modell aber – entsprechend des modellierten raschen Verlustes der Immunität – fast bei 150 und somit nicht besonders weit unter dem Wert für nicht immunisierten Menschen.
Im Modell verliert man den Infektionsschutz im Schnitt 180 Tage nach Genesung. Die obige Beobachtung lässt es nun zu, den Verlust der Immunität nach erlebter Infektion besser zu parametrisieren. Es deutet darauf hin, dass die aktuellen Annahmen hier zu konservativ bzw. zu streng sein dürften. Auf Basis dieser Ergebnisse könnte man diskutieren die Einstufung von Genesung in den Zutrittsregelungen positiver zu bewerten.
Ein zweiter interessanter Aspekt ist die Wirksamkeit einer Teilimpfung im Modell. Diese ist auf Basis der Studien im Modell verglichen mit den Echtdaten deutlich zu gut. In den Realdaten liegt die Inzidenz für die Gruppe der Teilgeimpften bei über 100. Im Modell liegt der Vergleichswert bei nicht einmal 60. Dies liegt daran, dass die dem Modell hinterlegten Annahmen zur Impfwirksamkeit auf Herstellerstudien beruhen, die nun mit der Delta Variante offensichtlich nicht mehr in diesem Ausmaß gültig sind.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass im Modell die unbestätigt Genesen aus der Gruppe der nicht Geimpften herausgelöst werden können. Dies führt zu dem Effekt, dass die gruppenspezifische Inzidenz der nicht Geimpft- und nicht Genesenen (Realdaten 20.8.2021: ca. 160) sogar noch weiter nach oben schießt (am 20.8.2021 bereits knapp 200), als sie es in den Beobachtungsdaten waren. Dieses Ergebnis zeigt wie sehr die aktuelle Ausbreitung unter den nicht immunisierten Menschen stattfindet.
Mit Hilfe des Modells werden nun aktualisierte Hypothesen simuliert und mit aktuellen Studien verglichen, um Aussagen über die Impfwirksamkeit in der aktuellen österreichischen epidemiologischen Lage zu generieren.
Das gesamte zugehörige Arbeitspapier können sie unten herunterladen.